Mein Frankfurt



Frankfurt am Main ist keine Idylle. Fünf Minuten liegen zwischen den Orten, an denen man die "Frankfurter Allgemeine" und die "Frankfurter Rundschau", die Hochglanzmagazine der Trendgeschäfte und die Obdachlosenzeitungen der Armenlobby mitnehmen kann: Die Schere zwischen gesellschaftlichem Reichtum und sozialer Hackordnung ist in Frankfurt sichtbar. Das ist nicht romantisch, aber ehrlich.

Frankfurt hat Deutschlands imposanteste Skyline. Seit dem Mittelalter ist die am Main gelegene Stadt Kreuzpunkt der europäischen Handelsstraßen. Heute ist sie mit den Banken und der Börse ein europäischer Handels- und Finanzplatz, Sitz der europäischen Zentralbank. Frankfurt ist eine Geldstadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal in der Überlegung als westdeutsche Hauptstadt, scheint jetzt mit der "Berliner Republik" das Schicksal der Freien und Reichsstadt Frankfurt entschieden: Hier geben nicht Wahlbürger und Abgeordnete, sondern Bankeinleger und Aktionäre den Ton, also: Frankfurt ist Regierungsstadt geworden.

Über Jahrhunderte war der Frankfurter Bartholomäusdom Krönungskirche der deutschen Kaiser. In der Revolution von 1848 tagte im März/April in der Frankfurter Paulskirche die erste deutsche Nationalversammlung. Ihr Verfassungsentwurf mit den "Rechten des deutschen Volkes" wurde 1849 beschlossen. Er trat nicht in Kraft. Eine mißlungene demokratische Revolution als Omen? In den dreißiger Jahren wurden die Nationalsozialisten in Frankfurt in kurzer Zeit stärkste Partei (1933: 47,9 Prozent). Nach den Kommunalwahlen im März 1933 übernahmen die Nazis die Macht im Frankfurter Rathaus, dem "Römer".

Frankfurt ist eine Stadt mit einer bedeutenden jüdischen Geschichte, die im Jüdischen Museum dokumentiert ist. Die Söhne des 1812 gestorbenen Bankiers Meyer Amschel Rothschild gründeten Filialen in London, Paris, Wien und Neapel. Viele soziale und kulturelle Einrichtungen Frankfurts wie das Kinderhospital oder die Alte Oper sind Stiftungen des jüdischen Bürgertums. 1933 mußte der jüdische Oberbürgermeister Landmann wie viele andere jüdische und nichtjüdische Mitarbeiter der Stadt fliehen. Die Frankfurter Synagogen, jüdische Wohnungen und Geschäfte brannten in der Nacht des 9. November 1938. 1941 begannen die Deportationen der Frankfurter Juden. Bis 1944 wurden insgesamt 10.000 Menschen in das Getto von Lodz transportiert und umgebracht.

Heute ist Frankfurt eine internationale Stadt mit einem proper renovierten historistischen Hauptbahnhof, der von großen Plänen träumt, und einem europäischen Flughafen, dessen Erweiterung um eine Startbahn vor Jahren nicht nur Wald, sondern Bürgervertrauen und Menschenleben gekostet hat. In Frankfurt erreicht der Anteil der Eingewanderten und Flüchtlinge markante Zahlen: Daniel Cohn-Bendit war der erste Leiter eines Amtes für multikulturelle Angelegenheiten, und "Stepie" Stepanovic als ehemaliger Trainer der Eintracht Frankfurt der prominenteste Lehrer für zeitgenössisches Frankfurterisch.

Frankfurt ist Universitätsstadt mit der Goethe-Universität (Johann Wolfgang von Goethe ist ein Frankfurter Heimatdichter), der katholischen Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, mit drei Max-Planck-Instituten, mit dem Sitz der Deutschen Bibliothek. Von Theodor W. Adorno bis Jürgen Habermas sind die Köpfe der Kritischen Theorie mit dieser Stadt verbunden: "Frankfurter Schule". Frankfurt ist Messestadt von Kultur (Buchmesse) bis Kult (Internationale Automobilausstellung). Der kleine Kreis der Innenstadt zwischen Alter Oper und dem Museumsufer mit seiner Reihe einzigartiger Museen (Städelsches Kunstinstitut, Filmmuseum, Architekturmuseum ...) und Museumsbauten (Museum für Kunsthandwerk ...) markiert die glücklicheren Zeiten der fetten Jahre eines öffentlichen Wohlstands der Stadt.

Frankfurt ist eine Sammlung von Kleinstädten mit einem Zentrum, das sich Metropole nennt. Frankfurt ist eine im Krieg zerstörte Stadt. Im Herbst 1943 zum Ziel alliierter Großangriffe geworden, versanken im März 1944 die historische Altstadt und die Innenstadt in Schutt und Asche. 90.000 Wohnungen wurden zerstört, die doppelte Zahl von Menschen wurde obdachlos. Der Einmarsch amerikanischer Soldaten im März 1945 beendet für Frankfurt die Zeit des Naziregimes; der Wiederaufbau beginnt. Wie kaum eine andere Stadt steht Frankfurt für zentrale Momente der Nachkriegszeit: Hier werden amerikanische Soldaten und höchste Kommandostellen stationiert. Hier entsteht mit der Bank deutscher Länder die Zentralbank der drei Westzonen. Hier stirbt die Prostituierte Rosemarie Nittribitt, weil sie zuviel wußte und einen zu hohen Preis dafür forderte.

Frankfurt lebt schnell: "Gott in Frankfurt" hieß vor einigen Jahren eine Veröffentlichung. Mit Walter Dirks und dem Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning war Frankfurt mit dem sozialen Katholizismus verbunden: Das "Haus der Volksarbeit" als katholische Beratungs- und Bildungseinrichtung und das "Oswald von Nell-Breuning-Institut" der Hochschule Sankt Georgen zeugen davon. Mit der evangelischen Pröpstin und dem katholischen Stadtdekan als bischöflichem Kommissar sind die bischöflichen Leitungen beider großen Kirchen in Frankfurt vertreten. Aber Gott in Frankfurt ist international wie die Bewohner der Stadt: Christen aller Konfessionen und Gruppierungen, Muslime, Juden, Anhänger östlicher Religionen, Jünger des New Age und der Esoterik. Frankfurt ist eine multireligiöse Stadt. Aber Gottes schönste Häuser in Frankfurt sind alt: Der Bartholomäusdom, die (kath.) Kirche St. Leonhard, die (evang.) Nikolaikirche am Römerberg.

Frankfurt ist keine Stadt, in der es sich nebenbei wohnen läßt. Sie will geliebt oder gehaßt werden.
Ich habe meine Wahl getroffen.






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© Ulrich Sander